JazzFest.Wien 2010
Jamie Cullum
Für die einen ist er der „Robbie Williams des Jazz“, für die anderen „der neue Sinatra“ oder auch „der David Beckham des Jazz“. Für die Frauenzeitschrift „Elle“ ist er schlicht neben den Leibern von Prince William und Michael Owen, einer der „Five Top Bodies“. Seine neue Plattenfirma Universal gab im Wettstreit mit Sony eine schlappe Million Pfund aus, um den jungen Mann zu angeln. Nun, egal aus welchem Blickwinkel man es betrachten will, der knapp 30jährige Jamie Cullum hat einen, für ihn selbst am verwunderlichsten, unglaublichen Höhenflug hinter sich.
Durch seine Eltern (Mutter aus Burma, Vater mit deutsch-jüdischen Wurzeln), die eine Coverband namens „The Impacts“ betrieben, war der Filius schon früh im Zentrum musikalischer Verrichtungen. Bereits als Kind lernte er Klavier zu spielen, ehe er nach Vorbild des Bruders auf die Gitarre wechselte, um Eddie van Halens Solo auf Michael Jackson´s „Thriller“ zu lernen. Einige Monate später, beim Durchstöbern der elterlichen Plattensammlung, besann sich der Teenager beim Hören einer Oscar-Peterson-Platte wieder seiner ursprünglichen Obsession und kehrte zurück zu den 88 Tasten. Autodidakt lernte er nun wie ein Besessener, spielte in kleinen Clubs, Hotels, auf Hochzeiten und Bar Mitzvahs. Geld, das er in den Semesterferien auf einem Kreuzfahrtschiff verdiente, investierte er in seine erste eigene CD „Heard it all before“, von der er flotte 700 Stück verkaufte.
Wenig später nahm er sein zweites Album mit dem Titel „Pointless Nostalgic“ auf, mit dem er mehrmals im Radio auftritt, was ihm sogar einen Anruf von einem begeisterten Prince Charles einbrachte, der ihn zur Geburtstagsfeier von Queen Elizabeth einlud. Damit war die Basis seines ungewöhnlichen Höhenflugs gelegt. Er spielte in den Londoner Mayfair Studios noch „Twenty Something“, sein Debütalbum für Universal ein, und dann ging´s ab in die Charts. Über 600000 Stück setzte der Sänger und Pianist allein im Vereinigten Königreich ab. Die Weltkarriere war nicht zu stoppen. Cullum arbeitete mit Popnobilitäten wie Burt Bacharach und Carol King, aber auch mit dem Jazzliebhaber und Amateurpianisten Clint Eastwood.
Nach vier Jahren Pause stellte der Brite sein aktuelles Album „The Pursuit“ bei einem Launchevent im Londoner Tabernacle vor. Das Warten hat sich ausgezahlt. Cullums clevere Mixtur aus Jazzstandards, hippen Dancefloortracks und selbstkomponierten Balladen weiß einmal mehr zu entzücken. Der junge Brite arbeitete mit der Count-Basie-Big-Band ebenso wie mit der Bläsersektion von Michael Jacksons Klassiker „Thriller“. Zudem begab er sich auf neues Terrain, in dem er erstmals in den USA aufnahm. Dabei wich er von seiner sonst präferierten First-Take-Strategie ab und kreierte seine Songs in mehreren Arbeitsgängen. „The Pursuit“ verbindet weit auseinander liegende ästhetische Welten. Im neuen Sound von Jamie Cullum treffen Aphex Twin auf Rihanna, die Neptunes auf Count Basie. Doch am stärksten ist der erfolgsverwöhnte Pianist und Sänger stets live. Da entriegelt er versteckte Energien und kultiviert einen Spielwitz der seinesgleichen sucht.
Sweet Billy Pilgrim
Das Trio aus Buckinghamshire ist nach dem Helden in Kurt Vonneguts Roman „Slaughterhouse“ benannt. Musikalisch ergründen Anthony Bishop, Tim Eisenburg und Alistair Hamer diffizile Emotionen, die letztlich in schönste, aber konsequent düstere Melodien münden. Die Sunday Times kürte den Song „Stars Spill Out Of Cups“ vom 2005 erschienenen Debütalbum gar zu ihrem Lied des Jahres. Ihr zweites, superbes Album „Twice Born Man“ erschien dann bei der perfekten Company für melancholische Musik, die mit Knistersounds tändelt: auf David Sylvians Samadhi Label. Die Lieder von Sweet Billy Pilgrim reflektieren das Überleben in einer erkalteten Welt, in der Kommunikation zu nicht mehr viel führt.