JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2013

Katzeklo und Klafünf!

Helge Schneider
27.6.2013 Wiener Stadthalle

Manche Menschen glauben, Jazz sei eine todernste Sache und nur etwas für studierte Oberlehrer mit Existentialistenbart und der Vorliebe für schwierig-schräge Akkordauflösungen. Dabei geht es auch anders, geschüttelt und gerührt, mit viel Humor und anarchischem Witz. So, wie es Helge Schneider macht.

Der Mann aus Mülheim a.d. Ruhr, einem verschlafenen, waldreichen Städtchen im Ruhrgebiet, war wieder einmal Gast beim Jazz Fest Wien. Nach dem Gastspiel in der Oper vor zwei Jahren heuer in der „sehr schönen, wirklich sehr schönen Stadthalle in …“, Schneider tut, als müsse er in der Handfläche den Namen der Stadt ablesen, in der er an diesem Abend gastiert, „…Wien!“ Der erste Lacher ist schon kassiert. Gag auf Gag folgt bereits in den ersten Minuten, locker flockig vom Meister erzählt, der auf der Bühne als Dompteur des dekonstruierten Witzes von einer Bühnenseite zur anderen spaziert.

Doch jetzt ist es erst ein mal geraten, sich mit dem Autor dieser Zeilen, der jahrlang in unmittelbarer Nachbarschaft Schneiders in eben diesem Mülheim zu leben das seltsam-skurrile Vergnügen hatte, an die Worte von Ilse Storb zu erinnern. Die Frau gibt es wirklich, 1929 in Essen, nahe Mülheim, geboren, wurde sie durch einen Kongress der Internationalen Jazzforschung in Graz motiviert, ein Jazzlabor für die Musiklehrerausbildung zu gründen. Nach ihrer Habilitation über Dave Brubeck erhielt sie einen Lehrstuhl an der Universität Duisburg, und natürlich begegnet man sich ständig in den drei Nachbarstätten Mülheim, Essen und Duisburg, mitten im Ruhrgebiet. Vor allem, weil man an Ilse Storb ebenso wenig vorbei kam wie an Helge Schneider. Irgendeines Tages sagte und schrieb Ilse Storb, die in TV-Talkshows schon einmal seltsam anmutende afrikanische Fruchtbarkeitstänze aufführte, dass Helge Schneider zwar persönlich sehr nett und auch ein guter Musiker sei, seine Texte allerdings, ähnlich wie die der Hiphopper und der von Elfriede Jelinek, ans Faschistoide grenzten. So richtig wollte ihr das niemand glauben, aber komisch war es schon. Und wichtig war es auch, um zu erkennen, wie grenzgenial Schneiders Humor den Verstand selbst der gelehrtesten Menschen aushebelt.

Denn tatsächlich gleichen seine Spiele mit Worten und Gesten Operationen am offenen Hirn. Er beginnt Witze, und zerstört das, was wir als Pointe uns erwarten. Er dekonstruiert die Erwartungen, verunsichert das Vertrauen in Sprache und Sinn. Reimstruktur in Liedern? Pah! Sinn von erzählten Geschichten? Nö, schon gar nicht. An einigen Klassikern, wie „Katzeklo“ oder „Der Meisenmann“, die er an diesem Abend selbstverständlich vorträgt, demonstriert er diesen, vom ihm zur Meisterschaft getriebenen Dekonstruktivismus mit leichter Hand.

Das Tolle daran ist, dass er das im Rahmen des Jazz Festes Wien macht. Denn für viele, viele Jazz-Verachter, aber auch Jazz-Fans ist diese Musik mit mehr Vorurteilen behaftet als ein Stachelschwein Stacheln hat. Es gibt Jazz-Fans, die wollen, dass ihre Lieblingsmusik total ernst ist, weh tun müsse und anstrengend bleibt. Das genau fürchten diejenigen, die dem Jazz nicht trauen.

Und dann kommt dieser Helge Schneider, der schon 1991 mit seinem Jazz-Album „The Last Jazz“ verwirrte und sich immer schon als Fan von Coleman Hawkins, Louis Armstrong oder Sonny Rollins outete, und er wirft alle Vorurteile über den Jazz mit seinem Zerstörspiel um Sinn und Verstand außer Kraft. Ja, Jazz kann eben auch verdammt viel Spaß machen, so wie einst in den vierziger Jahren bei Cab Calloway oder Slim and Slam, die mit Titeln wie „Boot-Ta-La-Za“ und einer eigens erfundenen Sprache die Menschen zum Lachen brachten.

Am gestrigen Abend jedenfalls bestritt der Mann aus Mülheim an der Gitarre, dem Klavier, der Orgel und der Melodica , begleitet von Willi Ketzer am Schlagzeug und Ira Coleman am Bass, ein fulminantes Programm. Er spielte Klassiker wie „It Ain’t Necessarily So“ oder „Misty“ teilweise, wie es sich für Jazz gehört. Swingend und voller Lebensfreude. Er scheut sich aber auch nicht, sie mit Wort- und Spielwitz ins Absurde zu überführen, uns die Hörgewohnheiten im Hirn umdrehend. Mit drei Worten: es war lustig!

Zur Unterstützung hatte er sich dem den wahrscheinlich schon 123jährigen Sergej Gleitman als ewigen Vorturner, ein Tee-Faktotum und den Tenorsaxofonisten Tyree Glenn Jr. mit auf die Bühne geholt. (Dessen Vater war übrigens Posaunist bei Louis Armstrong und Cab Calloway!)

Das Publikum dankte mit Lachen und Verständnis, und es freute sich mit Schneider selbst über die kalauerndsten Pointen. „Kennt ihr einen meiner ersten Gags? Damals sagte ich, wenn ich zum Klavier schritt, „Oh, ich gehe jetzt zum Klafünf’!“ Luft anhalten, bitte schön, das ist doch ein Kalauer schlimmster Bauart? Aber dann lacht der Meister verschmitzt, ja, und dann haben wir den Segen, und gestatten uns, selbst über tieffliegende Witzgranaten zu lachen. Schneider hat die Lizenz zum Witze versemmeln. Er hat sie sich hart erarbeitet, aber das Publikum hat sie ihm gewährt.

Und weil wir alle so gelacht haben und das salzige Nass der Lachtränen irreparable Schäden an der Teppichware der „schönen, sehr schönen Stadthalle“ hervorgerufen haben – nicht wahr, oder?, – zieht das Jazz Fest Wien demnächst weiter. Etwa am Freitag, dem 28. Juni zu dem indischen Perkussionisten Trilok Gurtu ins Porgy & Bess! (Fortsetzung folgt)
Harald Justin

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