JazzFest.Wien 2013
„Ich bin talentfrei und komme aus Indien!“
Trilok Gurtu
28.6.2013 Porgy & Bess
Solch’ eine Behauptung über sich kann nur aufstellen, wer sich seiner überragenden Fähigkeiten sehr bewusst ist. Trilok Gurtu jedenfalls hat diese Worte bei seiner Vorstellung im Porgy & Bess gewählt und damit die Frage aufgeworfen, wie es denn nur war, dieses vierte von uns besuchte Konzert im Rahmen des Jazz Fest Wien?
Nachdem Helge Schneider bei seinem Konzert am 27. Juni Hirn, Pointen und den Verstand einer ausführlichen Prüfung unterzogen hatte, näherte sich der indische Perkussionist mitsamt seiner dreiköpfigen Band Hirnfragen von einer etwas anderen Seite.
Das Konzert begann mit ohne lange Vorrede. Einfach rein ins Tongetümmel, Gefangene wurden nicht gemacht. Unterstützt von einem wahlweise Piano oder Synthie spielenden Tastenkönner, einem mit Verfremdungsgeräten arbeitenden Trompeter und einem Bassisten, trommelte sich Trilok Gurtu durch eine Version von Dizzy Gillespies „Manteca“ und stimmte danach „Black Satin“ von Miles Davis an. Mit seinem 17. Solo-Album Spellbound“ im Gepäck ist er seit 2004 ein wieder mal gehörter Gast im Porgy & Bess.
Wer um den musikalischen Werdegang Gurtus weiß, wie sich so etwas anhören muss. Schließlich hat er mit Oregon gespielt, jahrelang mit John McLaughlin getourt, hat auf seinen Alben Gäste wie Jan Garbarek, Pat Metheny oder Bill Laswell ins Spiel eingebunden. Selbst Joe Zawinul hat er zwei Jahre lang trommelnd begleitet.
Und wer um die Musik dieser Größen des modernen Jazz der siebziger und achtziger Jahre weiß, dass Jazzrock anscheinend nicht tot zu kriegen ist. Seine Band jedenfalls besteht aus jungen Musikern, von denen keiner geboren sein durfte, als John McLaughlin in den siebziger Jahren für Furore sorgte. Jazzrock, das ist, wir erinnern uns bitte, jene Spielart des Jazz, bei denen elektrisch verstärkte Instrumente schnelle Riffs herbeizaubern, die auf wabernde Soundscapes treffen.
Insbesondere die Trommler schlugen mit viel Energie und noch mehr Herumgewirbel nicht auf die Eins, sondern sich unermüdlich quer durchs Getümmel. Als „Befreiung des Drummers von der Rolle des Taktgebers“ wurde diese Art des Fellhauens und Brachialbeselns einst gepriesen. So musste es sein, und darauf versteht sich Gurtu auch. Aber, und das ist das Gute, er kann noch mehr. Natürlich, er trommelt unentwegt, sich kaum Pausen gönnend. Normale Jazzrock-Drummer, so heißt es oft in der Kritik, „overdrummen“. Sie spielen alle Lücken voll, schaffen keine Räume, keine Luft zum Atmen, trommeln am Herzrhythmus einfach vorbei.
Gurtu hingegen hat den Vorteil, die klassische Musik seiner indischen Heimat studiert zu haben. Er kennt die Kunst indischer Musik, mittels gegenläufiger Rhythmen Zustände der Trance und der Heilung zu erschaffen. Gurtu trommelte diese Rhythmen, in den besten Momenten dieses Konzertes. Sind so kleine Hände, und wenn er zur Tabla griff, mit zehn Fingern, Ellenbogen und fußbetriebener Bass-Drum, dann hörte man, wie die diversen Rhythmen zu jeweils eigenen Tänzen aufforderten. Das genau ist die große Kunst der indischen, aber auch der afrikanischen Musiken: durch das Gegeneinander und Miteinander der Rhythmen jeweils andere Gehirnregionen anzusprechen. Kleine Konzentrationsübungen, die das Hirn anregen. Getrommelte Hirnwellen.
Jeder kennt das doch: auf dem Bauch mit der einen Hand eine kreisende Bewegung machen, während die andere Hand eine gegenläufige Bewegung auf dem Kopf macht. Das fördert die Intelligenz. Gurtu macht daraus Musik, und Musik, die sich auf derlei versteht, ob in Afrika oder Indien, wird eine therapeutische Wirkung nachgesagt. (Insgeheim hören wir Doc Schneider Beifall klatschen! Aber nicht im Vier-Viertel-Takt!)
In den besten Momenten jedenfalls ließ Gurtu die Rhythmen gegeneinander laufen und sorgte für rhythmische Vielfalt. In den besten Momenten des Konzertes arbeitete er in einem kleinen Solo mit Geräuschen, die sich aus einem geschlagenen Wassereimer entwickelten, die dann in einer Vielfalt von Rhythmen aufgingen. Wenn dann der Trompeter Klänge beisteuerte, die an Walgesänge erinnerten, ergaben sich archaisch-magische Momente. Ja, Trilok Gurtu kommt aus Indien, und möglicherweise hat er ja an diesem Abend den Inder in uns wachgetrommelt. Weshalb sonst begegnen uns andauernd Inder in der Werbung?
Aber was ist mit den Österreichern in uns, wenn am Samstag, dem 29. Juni, die österreichischen Sängerin Meena Cryle auf dem Gelände der Fernwärme den Geist von Janis Joplin, einer amerikanische Bluesrockikone, beschwört? Was ist mit den Rumänen in uns, wenn am Sonntag, dem 30. Juni, die Mahala Rai Banda das Porgy & Bess heimsucht? Auch ein Fall für Doc Hirnchen? (Fortsetzung folgt!)
Harald Justin