JazzFest.Wien 2013
Die Leben des Bryan
Bryan Ferry
1.7.2013 Wiener Staatsoper
Musik und Klänge, das Hören, all das ist immer auch eine Sache der Anhäufung von kulturellem Kapital, der sozialen Abgrenzung und der herrschaftlichen Bevormundung in Sachen des Geschmacks. Das lässt sich in der Theorie natürlich prima behaupten, Aber natürlich auch hören, etwa beim Konzert von Bryan Ferry in der Wiener Staatsoper!
Das Phänomen ist ja bekannt, die Rangfolge der Musiken dürfte unumstritten sein. Die Klassik gilt immer noch als Königsweg ins Reich der Musik, Pop-, Schlager- oder Volksmusik stehen eher am unteren Bereich der nach oben offenen Liste des musikalischen Lebens. Wie hieß es noch im „Standard“: „Kein Wunder, dass Unterhaltungsmusik als minderwertig gilt, leitet sich ‚Unterhaltung’ doch von ‚Unterleib’ ab.“
Jazz spielt seit jeher eine Sonderrolle. Einst galt er als minderwertige „Negermusik“, zu rhythmisch, zu exotisch. Dann haben sich Weiße seiner angenommen, „Jazz-Symphonien“ und „Jazz-Opern“ geschrieben, ihn seiner wildesten Elemente beraubt, ihn gezähmt und zugeritten. Irgendwann galt Jazz als Musik der Intellektuellen, mittlerweile ist er eine Marke, mit der sich Parfums und kleine Autos verkaufen lassen. Und aus der Musik, die einst in Bordellen gespielt wurde, ist längst eine Musik geworden, die sogar in die Wiener Staatsoper passt. Sie gilt als „Flagschiff des Jazz Fest Wien“, wie es der nette Mann bei seinen Ansprachen vor den Konzerten zu betonen nicht müde wird.
Gestern hatte er die Ehre, Bryan Ferry anzukündigen. Ferry, das dürften alle gewusst haben, die gekommen waren und das stimmungsvolle Halboval der Wiener Staatsoper mit ihrer Anwesenheit beehrten, war einmal der Sänger von Roxy Music. Die frühen siebziger Jahre, das war die Zeit dieser Truppe, die mit Rock ’n’ Roll-Riffs, Jazz- und E-Musik-Zitaten von Sonny Rollins bis Kurt Weill, mitsamt elektronischen Verfremdungen, exotischen Rhythmen und vor allem mit exotischen Verkleidungen und einer Lust am Verwirrspiel mit den Geschlechterrollen verhaltensauffällig wurde. Wer damals jung und hip sein wollte, musste Roxy Music gut finden – jedenfalls solange bis die Punks kamen. Und dann hatte Ferry auch keine Lust mehr auf blaue Glitzeranzüge, besann sich auf den kleinen schwarzen Anzug und spielte lieber erfolgreich den verlorenen Gentleman-Sänger. Sänger? „Ferry“, schreibt sein Biograf David Buckley, „wird man, in gesangstechnischer Hinsicht jedenfalls, auch nicht in einer Million Jahren als wundervollen Sänger betrachten.“ Aber er fügt auch hinzu: „Es ist seine Unvollkommenheit, die seinen Stimme so reizvoll macht.“
Tatsächlich gab es von dieser Stimme an diesem Abend mehr als einen unvollkommenen Ton zu hören. Die ersten zwanzig Minuten allerdings war von ihr gar nichts zu hören. Denn erst einmal spielte das Bryan Ferry Orchestra unter der Leitung von Colin Good auf. Berechtigterweise trägt es das Wörtchen „Jazz“ nicht im Titel, denn es spielt keinen Jazz, sondern eine Art temporeicher Kaffeehausmusik, wie sie in den zwanziger Jahren von Weißen für Weiße in den feineren Salons gespielt wurde. Diese Musik war Teil der britischen Musikszene, der Dancehalls und Tee-Salons, das war Musik, die sich erhaben gegenüber dem Jazz empfand. Das war keine Rabaukenmusik, sondern etwas für die gebildeten Stände. Mit etwas Mut zur Verwegenheit , könnte man behaupten, das war die Musik, zu deren Abschaffung Roxy Music erfunden werden musste.
Nun als lässt das Mastermind von Roxy Music diese Musik wieder aufleben. Ja, die Schatten der Jugend sind lang, die Rache der Alten sicher. Diesen Widerspruch muss man aushalten, und das Publikum ist tapfer und beklatscht den Beharrungswillen des Alten mit tapfergespendeten Beifall. Roxy Music’s „Avalon“ als Kaffeehaus-Musik ist schließlich auch eine Ambient-Erfahrung, wie sie sich Eno, der andere Meisterdenker von Roxy Music, nicht perfider hätte ausdenken können.
Schließlich betritt der Meister himself unter tosendem Beifall die Bühne. Immer noch stakt er daher wie ein Storch im Froschteich, ja, das ist er, schlank und rank wie vor zwei Jahren, als er schon einmal beim Jazz Fest gastierte, schlank und rank wie einst, ein Gentleman der alten Schule halt. Der Pailletten-Ferry von einst hätte sich sehr gewundert über den Ferry der ihm, zurück in der Zukunft, einige Jahre später begegnet. Aber dieser Widerspruch ist aushaltbar, oder? Sieht nicht der Gentleman von heute respektabler aus als der Paradiesvogel von einst? (Kommt auf die Perspektive an, oder?)
Egal, jetzt kommen die Klassiker, Dylans „A Hard Rain’s Gonna Fall“, „Love Is A Drug“, und das Bryan Ferry Orchstra mutiert von einem Kaffeehaus-Ensemble zu einer rhythmische Akzente setzenden Soul-Truppe. Drei Sängerinnen machen an den passenden Stellen „Huh-huh“, die Drummerin schlägt einen fetten Backbeat, und der sehr junge, aber sehr gute Gitarrist hängt die Gitarre noch etwas tiefer, ist fertig zum gun-fight und tritt zum Solo nach vorne. Jetzt kommt Stimmung auf, jetzt kommen aber auch die Titel, die, gesungen von einem nassen Seehund, allemal begeistern müssen. Bei „Let’s Stick Together“ hält es das Publikum nicht auf den Plätzen, aber das Original von Wilbert Harrison ist auch seit 1969 unkaputtbar. Der große Tanz beginnt, es kommt Stimmung auf, und Ferry zieht einen weiteren Trumpf aus dem Notenheft: „Hold on, I’m Coming“, von Sam & Dave, ein Soulklassiker aus dem Jahr 1966. Das Publikum liebt den Song und den Sänger, doch eine Frage bleibt: Wenn Roxy Music einst angetreten waren, um die Dominanz jener britischen Gruppen zu brechen, die, wie die Stones oder die Animals, schwarzen Blues und Soul nachspielten, wieweit ist Ferry dann heute gekommen, wenn er selbst an diesen Soul wieder anknüpft? Noch dazu mit einer Stimme, die eigentlich nicht im geringsten „schwarz“ klingt, sondern immer schon als feinste Verkörperung weißen Pop-Gesangs galt? Da reiben sich die Widersprüche.
Das ist auszuhalten, weil es um die Neuverteilung des symbolischen Kapitals geht. Wenn morgen 500 Besucher des gestrigen Konzerts die Originale von Sam & Dave, Bob Dylan oder Wilbert Harrison kaufen, beginnt ein neuer Abschnitt des Hörens. Das gilt auch, wenn am Dienstag, dem 2. Juli, viele, viele Menschen zum Doppelkonzert von Bonnie Raitt und Charles Bradley kommen. Oder gar Bobby Womack bei seinem Konzert am 3. Juli in der Wiener Staatsoper unterstützen. (Fortsetzung folgt)
Harald Justin