JazzFest.Wien 2013
Weniger ist mehr
Bobby Womack
3.7.2013 Wiener Staatsoper
Wer sagt eigentlich, dass nur jugendliche Pop-Stars mit Frisur- und Hautproblemen Begeisterungsstürme hervor rufen können? Gesten trat die 69jährige Soul-Legende Bobby Womack auf die Bühne der Wiener Staatsoper und hinterließ ein Publikum, das sich mit breiten Grinsen vor Begeisterung die Finger blutig klatschte.
Zur Erinnerung: im gestrigen Frontbericht vom Jazz Fest Wien war die Rede von einem der kleinen Pixi-Bücher, die in der Fernwärme beim Samstagskonzert verteilt wurden. Eines davon hieß: „Was die Sonne alles kann“. Just ein, zwei Moment fiel mir der Sager von Bobby-Womack-Kumpel Rolling Stone Keith Richards ein, der behauptete, dass für ein junges Publikum die Rolling Stones wahrscheinlich so wahrgenommen würden wie die Sterne, der Mond und eben die Sonne! Alles Gestein, ob im Himmel oder auf Erden, sei für Menschen mit einer geringen Lebenszeit, quasi ewiglich. Vom Jazz-Vibrafonisten Lionel Hampton ist der schöne Satz überliefert: „Swing ist ewige Musik. So etwas wie die Sonne.“ Und Soul, das lernten wir am Samstag durch das Lebendbeispiel von Martha High, ist eine Art Jungbrunnen. Hält (fast) ewig jung.
Und schon sitzt unsereins beim dritten Soul-Act des Jazz Fest Wien: Der legendäre Bobby Womack ist nach Wien in die Staatsoper gekommen. Er ist nicht nur „The Last Soulman“, feiert seine „Resurrection“ oder ist „The Bravest Man In The Universe“ (allesamt Albentitel), sondern ist tatsächlich einer der wenigen Überlebenden aus der Goldenen Ära des Soul in den sechziger Jahren. Sam Cooke, Marvin Gaye, Ray Charles, Isaac Hayes, Johnny Taylor, O.V. Wright, James Brown, Solomon Burke, – all die großen Männer des afroamerikanischen Soul sind mittlerweile verstorben. Von den Stars hat einzig Bobby Womack überlebt.
Bis zum Tod von Sam Cooke 1964 hatte er ihm als Gitarrist zur Seite gestanden, drei Monate nach dessen Tod sogar die Witwe geheiratet, so wie sein Bruder Cecil später die Tochter des Soul-Barden. Noch im gleichen Jahr, 1964, hatten die Rolling Stones mit seinem „It’s All Over Now“ einen ihrer ersten Hits, und von dann an behauptete Womack sich als Aktivposten des modernen Soul. Deep Soul war er nie, er arbeitete nicht mit den Stilelementen des amerikanischen Südens. Keine einfachen Rhythmus-Patterns mit viel Geschrei und emotionalem Overdrive, die Erbfolge von James Brown wollte er nie antreten. Die Eleganz von Sam Cooke, solides, melodisches Songwriting, angereichert mit emotionalen Hitzegraden, lag ihm allemal näher als die „Schrei-kreisch-gebt-mir-Liebe“-Fraktion des Soul.
All das, dieses Understatement, zahlt sich an diesem Abend aus. Der 69jährige wird auf die Bühne geführt. Kann er, nach einer überstandenen schweren Krankheit, nicht mehr allein gehen? Vielleicht. Aber wenn die 14köpfige Band loslegt, merkt man, wie der Rhythmus der Musik einfährt in seinen Körper. Seine Füße bewegen sich im Rhythmus der Musik. Sie gibt ihm die Bewegung vor. Gehen im Rhythmus. Er macht nicht viel, aber das wenige, was der alte Mann macht, macht er richtig. Begeisterung, nicht auf Ekstase-Hitzegraden, sondern langsam zündelnd.
Natürlich singt er Songs von seinem aktuellem Album „The Bravest Man In The Universe“, natürlich gibt es mehrmals die üblichen „Clap Your Hands“-Animationen. Das gehört dazu. Warum eigentlich?
Weil Musik eine Form der Kommunikation ist. Nicht zufällig hieß eines seiner Alben „Communication“. Natürlich dürfen im Verlauf des Abends der Rückgriff auf Klassiker des Soul nicht fehlen. Sam Cookes’ „A Change Is Gonna Come“ wird angestimmt, „Lookin’ For A Love“ muss sein, und Womack ruft: „Ok, das ist jetzt nicht wirklich seriös!“, und lässt das Publikum zum „Hohoho-Nanana“-Gruppengesang antreten. Soweit, so gut.
Das wirklich Interessante ergibt sich allerdings erst bei einem Gospel. Da stimmt der Rhythmus von allein. Es bedarf keiner Mitklatsch-Animationen mehr, die Anwesenden treibt es von allein von den Sitzen hoch und danach vorn zur Bühne. Nein, Womack braucht nicht mehr zu animieren, die Musik richtet es von alleine. Das ist der Rhythmus, bei dem man mit muss. That’s Soul, bei dem sich Rhythmusgefühl mit spiritueller Bedeutung auflädt. Und dann, nach kurzer Zugabe, ist alles vorbei. Trotz „Zugabe“-Rufen. It’s all over now.
Hinterher empfängt er im Backstage-Bereich. Nach dem unvermeidlichen Händeschütteln gibt es ein Problem: Wie reicht man am morgigen Donnerstag, am 4. Juli Rebekka Bakken eine Hand, die vorher von einer Soul-Legende wie Bobby Womack geschüttelt wurde und die man eigentlich lange, lange Zeit nicht mehr waschen wollte? (Fortsetzung folgt)
Harald Justin