JazzFest.Wien 2013
Große Kühle, weite Räume
Rebekka Bakken
4.7.2013 Wiener Staatsoper
Bryan Ferry, auch Gast beim Jazz Fest Wien 2013, sagte einst über den Gesang von Billie Holiday: „Ihr Stil singt von Hoffnung, ihre Botschaft ist Verzweiflung.“ Wenn dem so ist, wovon sang Rebekka Bakken bei ihrem Konzert in der Wiener Staatsoper?
Die große Kühle aus dem Norden Europas war schon notwendig nachdem mit Martha High, Charles Bradley und Bobby Womack schwärzester Soul den zarten Wiener Seelen einen Tollschock besonderer Güte verpasst hatten. Nun also die Norwegerin, die Frauenquote des Festivals hebend und eine ganz andere Musik machend. Allein ihr Dasein erinnert daran, was sich im Jazz und insbesondere im Jazz-Gesang verändert hat.
Wenn etwa Swing, die Synkopisierung, der Groove, laut Lionel Hampton im Jazz so ewiglich sind wie die Sonne, wenn der Bassist Charlie Haden von dem afroamerikanischen Saxofonisten John Coltrane sagt, er habe beim Spielen eine Energie wie die Sonne entwickelt, dann fragt man sich, was aus dem Jazz-Gesang in den letzten Jahrzehnten geworden ist. In den siebziger Jahren etwa klagte die großartige afroamerikanische Jazz-Sängerin Betty Carter, dass der weibliche Jazz-Gesang eigentlich tot sei und sie sich wie die „letzte Mohikanerin“ fühle. Sonnenfinsternis, oder was?
Dreißig Jahre später sind die Feuilletons voll mit Lobeshymen über ganz, ganz viele neue Jazz-Sängerinnen. Diana Krall und Norah Jones haben dem Genre einen Kick gegeben, und sie kamen beide gerade richtig, als zwei Tendenzen dem Jazz eine 180 Grad Wendung gaben. „Europäisierung“ und das berüchtigte „Whitewashing“ verpassten dem Jazz einen neuen Anstrich. Der an afroamerikanische Erfahrungen, an Rassismus und Kirchengesang, orientierte weibliche Jazz-Gesang geriet ins Hintertreffen, Swing und Sonnenenergie verglühten.
Der vornehmlich weiße amerikanische und europäische Jazz-Gesang orientierte sich hingegen an der jeweiligen Folklore der Ursprungsländer oder an Pop-, Rock- oder Singer/Songwriter-Strukturen. Insbesondere die Nordeuropäerinnen hatten mit ihrer Anlehnung an die Folklore großen Erfolg. Sidsel Endresen, Silje Neergard, Rigmor Gustafsson, Viktoria Tolstoy, Susie Hyldgaard und eben Rebekka Bakken kannten sich in der Welt der Folklore meistens besser oder genauso so gut aus wie im Bereich des Pop und Jazz.
Rebekka Bakken überzeugte von Anfang an mit ihrer Intonationssicherheit, der Strahlkraft ihrer Persönlichkeit und ihrer Haltung gegenüber den Songs: „Sobald es einen Text gibt, geht es ganz und gar um ihn. Wir sind nur die Mädchen vom Lieferservice.“ Das Mädchen vom Lieferservice dürfte allerdings beim Zustellen lange Strecken zurücklegen müssen. Denn die Kunst ihres Gesang besteht darin, mit ihrer Stimme große Räume und Weiten zu eröffnen.
Nordisch unterkühlte, weite Räume. Bei passender Begleitung, gestern in der Staatsoper etwa von einem sich dezent zurück haltenden, sehr atmosphärisch spielenden Pianisten und zwei Gitarristen, die nicht swingen, sondern im Raum stehende Klänge hervorrufen, entstehen statisch wirkende Soundscapes, Klanglandschaften, die selbst Raum sind, im Raum stehen zu scheinen. Im Idealfall bewegt sich nichts, kein Swing, keine Sonne, keine Hitze und keine Hatz treibt die Szenerie und die Dinge voran. Das ist die Kunst der Nordfrauen.
Gut geraten ihr an diesem Abend jene Titel, wo Stille und Ruhe dominieren Selbst einem im Original treibend-bohrenden Titel von Tom Waits „Time“ kann sie in einem Solo mit eigener Klavierbegleitung in ein Tempo gen Null bringen. Sehr schön.
Leider kommt danach wieder die Band ins Spiel, und wer noch nicht wusste, dass es nicht gut ist, wenn in einer Band ausgerechnet der Drummer der lauteste Musiker ist, dürfte es spätestens nach diesem Abend wissen. Der besser ungenannt bleibende, hyperaktive, motorisch agile und zudem viel zu laut abgemischte Drummer hämmerte drauf los, als gelte es jeden Titel unbedingt in sein Dauersolo zu verwandeln. Knall-peng-Bum, unentwegt haute er alle Räume, die die Bakken und ihrer Band eröffneten, hemmungslos mit viel zu vielen Schlägen zu. Die Bassdrum wurde viermal getreten, wo einmal gereicht hätte, die Snare hat unter sechs Schlägen zu leiden, einer hätte auch genügt. Gleichzeitig wird auch noch das Becken behämmert, gibt es zudem einen Backbeat als wären wir im Rockstudio. Mitunter hatte er bei seinem kontraproduktiven Spiel gleich drei Drumsticks in den Händen, wo doch ein leichtes, minimalistisches Beseln ausreichend gewesen wäre. Nein, der Sound der Stille hört sich anders an. Kurze Überlegung, den Drummer vor der Zugabe zu kidnappen oder wenigstens in der Garderobe einzusperren, wurden allerdings verworfen.
Den wer weiß, nachher wird er in der Garderobe vergessen, und dann findet ihn dort George Benson, der am Samstag, dem 6. Juni, in der Wiener Staatsoper auftritt. Was würde er ihm wohl dann sagen? Etwa, getreu einem Songtitel von ihm „The Masquerade Is Over“? (Fortsetzung folgt)
Harald Justin