JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2013

Back To The Roots

James Carter | Robben Ford
9.7.2013 Rathaus/Arkadenhof

Der mögliche Prophet Ihres Vertrauens hatte es schon vorab prophezeit: das Jazz Fest Wien 2013 wird ein Festival, das sich in Zeiten der allgemeinen Not in besonderer Weise der besseren Wurzeln des Jazz besinnt. Tatsächlich spielte auch am vorletzten Tag des Festivals, am Dienstag, dem 9. Juli, die Musik im goldenen Dreieck zwischen Blues, Jazz und Soul die neue Hauptrolle.

Wie für die Konzerte im Arkadenhof des Rathauses und davor üblich, begann der Abend mit einem Gratiskonzert. Am Dienstag, dem 9. Juli, spielten Chris Dave and The Drumhedz auf. Zugegeben, das war Post-Ornette-Coleman, mit ständig wechselnden Rhythmen, schließlich ist ein Drummer Boss der Band. Nur schwer lassen sich inmitten sphäriger Sounds sinnige Zusammenhänge erkennen. Trotzdem gelingt es dem Quartett die Herzen und den Sachverstand der Hörer für sich einzunehmen. Am Ende ist der Platz vor dem Rathaus voller als vor dem Konzert.

Danach hatte Robben Ford in den Arkadenhof geladen. Der Auftrittsort: genial. Selbst die Tonabmischung stimmt. Und ja, es ist eine Freude, Robben Ford einmal live zu erleben. Insbesondere seine Aufnahmen aus den frühen Siebzigerjahren sind empfehlenswert, und auch an diesem Abend erweist er sich als geschmackvoller und souveräner Gitarrist und als Sänger mit gewohnt heller Stimme. Wer will ihm nicht stundenlang zuhören? Auf die Frage, mit welchen Musiker er, der mit Bluesshouter Jimmy Witherspoon, Beatle George Harrison, Ajzzer Miles Davis oder Joni Mitchell zusammen gespielt hat, liebend gerne noch einmal spielen würde, ist seine Antwort bestimmend: „Joni Mitchell!“

Offene Münder und die große Verschwendung

Der flüssige Bluesrock wird dann durch den Auftritt von James Carter auf die Probe gestellt. James Carter dürfte momentan der wohl faszinierendste Saxofonist des afroamerikanischen Jazz sein. Bereits in den ersten Titeln seines Auftritts verarbeitet er das ganze Erbe des afroamerikanischen Jazz. Titel des in den fünfziger Jahren populären Saxofonisten Earl Bostic werden zitiert, gefiltert allerdings durch die Coverversionen des Bostic-Schülers John Coltrane. Mit jedem Ton, jeder Geste atmet Carter die gesamte Geschichte des afroamerikanischen Jazz gleichzeitig ein und aus. Carter hat eine unglaubliche Präsenz und die absolute Kontrolle über alle Instrumente, die er sich in den Mund steckt. Die Münder der staunenden Kritiker bleiben allerdings vor Erstauen offen.

Zur Mitte des Sets stößt der Bluesgitarrist Joe Louis Walker zum Ensemble. Der Mann ist eine Legende im Zeichen seines eigenen Namens: Seit den neunziger Jahren gilt er neben Robert Cray als der große Erbebewahrer des Blues. Mit einem Titel von T-Bone Walker wie „Let’s Have an Natural Ball“ spielt er sich in die Herzen des Publikums. Zusammen zelebrieren beide die wohl beste R&B-Show, die je im Arkadenhof des Rathauses zu erleben war. Messungen zufolge, wuchs das Rathaus nach diesem Ergebnis um mehrere Zentimeter.

Übrig, kurz vor Schluss des Festivals mit dem Auftritt von Eric Burdon am Mittwoch, dem 10. Juli im Arkadenhof des Rathauses, bleibt die Erkenntnis, dass an diesem Abend, als auch anderen, diejenigen Titel beim Publikum am besten ankamen, die deutlichen Bezug auf den Blues nahmen. Kaum wurden die bekannten Bluesrhythmen angespielt, reagierte das Publikum mit einhelliger Begeisterung. Stehen wir tatsächlich vor einem erneuten Blues-Revival? Und wenn ja, warum eigentlich? Mal hören, was Eric Burdon, der Oden für seine Lieblingsmusiker wie Tina Turner oder Bo Diddley aufgenommen hat, zu diesen Fragen nach den Aufritt vom 10. Juli zu sagen hat.

Und stimmt es wirklich, dass ich mir für meine zukünftige Musikerkarriere nicht nur einen magic kiss bei China Moses, nicht nur einen Magic Hand-Schake bei Bobby Womack, sondern zudem einen Magic Mundkuss bei James Carter abgeholt habe? (Fortsetzung folgt)
Harald Justin

Deutsch | English