JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

„Der Adler ist gelandet!“ – Die Daptone Super Soul Revue

The Daptone Super Soul Revue
feat. Sharon Jones & The Dap-Kings + Charles Bradley and his Extraordinaires + Antibalas + The Sugarman 3 with special guests Saun & Starr and Master of Ceremonies Binky Griptite
1.7.2014 Wiener Staatsoper

Der eigentliche Startschuss zum Jazz Fest Wien 2014 erklingt traditionell in der Wiener Staatsoper. Heuer war ganz viel Seele mit im Spiel!

Es war nicht die schlechteste Idee, als in der Frühzeit der schwarzen Musik in Amerika so genannte Rhythm & Blues-Revuen auf die Reisen durchs Land geschickt wurden. Anstatt sich mit einem Musiker stundenlang zu quälen, traten in diesen Show-Revues mehrere Musiker auf, im schlimmsten Fall hatte man einen Act zwanzig Minuten zu ertragen und dann betrat dann auch schon der nächste die Bühne. Im besten Fall allerdings hatte man einen ganzen Abend kurzweiligen Spaß mit mehreren ausgesucht guten Musikern.

In den Sechzigern konnte man die Beatles, Little Richard und Ray Charles an einen Abend erleben; es waren auch die goldenen Jahre des Soul, als das Stax-Label, Heimstatt des muskulösen Südstaaten-Souls, mit seiner Stax-Revue durch Amerika und Europa tourte. Wer damals das Glück hatte, die Stax-Revue zu erleben, bekam Eddie Floyd, Carla Thomas, Sam & Dave und Otis Redding zu hören, begleitet von Booker T. & The MGs und den Mar-Keys. Der Soul-Großmeister Willie Mitchell kam in den neunziger Jahren mit seiner „Memphis Soul Revue“ und mit Otis Clay und Ann Peebles nach Europa; ein anderes Label schickte Johnny Adams, die Neville Brothers und Solomon Burke auf gemeinsame Reisen. Und heißt es heute Trübsal blasen, weil die goldenen Jahren des Soul vorbei sind, Brown und Burke im Himmel den Engeln die Seelentöne beibringen?

Mitnichten! Denn es gibt ja noch das Daptone-Label. Und es war die beste aller Ideen, mit einer Daptone Super Soul Revue den Jahrgang 2014 des Jazz Fest Wien zu eröffnen. Daptone, das 2001 in Brooklyn gegründete Label von Gabriel Roth und Neil Sugarman, macht mit seinem erdigen Soul, von manchen fälschlicherweise als Retro-Soul verunglimpft, dort weiter, wo Stax-Records einst aufhörte und die Musik im schwarzen Chitlin’ Circuit der Südstaaten heute immer noch spielt: der Backbeat kommt mit einem zentimetergenauen, harten und zuverlässigen Punch, die Bläser setzen ein Riff nach dem anderen an die schweißnasse Luft, der Bass pumpt und pumpt und ein Sänger oder eine Sängerin schreit sich die Seele aus dem Leib.

It’s soultime, baby – und diese Art der Musik, für die es kein Äquivalent in der weißen Musik gibt, heißt nicht zufällig Soul: es ist Seelenmusik, direkt von den tiefsten Urgründen der Seele kommend und sich direkt an diese Tiefen wendend. Musik, die berührt, die mitschreien und tanzen lässt, Musik, die in ihrer emotionalen Direktheit vom Jazz so wenig zu trennen ist wie ein Hund von seinem Schwanz. Jazz ohne Soul ist wie Suppe ohne Wasser, Ei ohne Huhn: flotte Unterhaltungsmusik, aber mehr eben nicht.

Und nun also die Daptone Super Soul Revue, die das diesjährige Jazz Fest Wien 2014 eröffnet. Und alle, alle machen es richtig: der Backbeat kommt präzise, die Bläserriffs sind so rhythmisch wie immer wieder vorantreibend. Theoretisch könnten die Burschen mit den schicken Anzügen bis zum Morgengrauen so weitermachen, es braucht nicht viel mehr, um glücklich zu sein. Aber es gibt noch mehr: zwei Sängerinnen, die auf den Mann einstimmen, der wegen seiner extravaganten Bühnenshow den Beinamen „the flying eagle“ trägt: Charles Bradley.

Der erst vor einigen Jahren zum verdienten Ruhm gekommene afroamerikanische Sänger kann den Spagat und den Mikro-Schüttler, und er kann schreien, schreien, schreien. James Brown würde sich freuen, und als Bradley zum Schluss von der Bühne steigt und sich von seinen Fans per Handschlag und mit Bussis verabschiedet, ist eine denkwürdige Soul-Lektion vorbei. Wer will, könnte jetzt nach zufrieden und glücklich nach Hause gehen.

Aber das macht natürlich niemand. Denn Antibalas kommt! Und wie! Schon im Backstagebereich war zu beobachten, wie der charismatische Sänger Amayo mit seiner hübschen Pompadourfrisur sich einen kleine Bläser schnappt und ihn durch die Garderobe trägt. Auf der Bühne wiederholt er das Hebekunststück, doch diesmal zur herausfordernden, ekstatischen Musik dieser Truppe, die einen mitreißend wilden Cocktail aus Soul und Afrofunk kredenzt.

Zeit zur Ekstase? Ja, bitte, das Publikum hat sich bereits erhoben, Begeisterung im Saal, nicht nachlassende Spielfreude auf der Bühne. Das Tempo ist allemal hoch, und ohne auch nur einen Backbeat zu verpassen, wird das Personal ausgetauscht, und plötzlich ist es Sharon Jones, das stimmgewaltige Aushängeschild von Daptone, die auf der Bühne steht und sofort durch ihr Charisma und ihre Stimme überzeugt. Irgendwann singt sie barfuss, holt sich Verstärkung aus dem Publikum auf die Bühnen, und – oh Wunder – die Herren können sogar wunderbar die eigenen Hüften kreisen lassen.

Tatsächlich, die Wiener haben Soul, der Adler ist gelandet, und, ja bitte, diese Super Soul Revue sollte wiederkommen oder gleich hier bleiben, um auch die letzten Wiener und Wienerinnen zur Seelenkunde treiben. Besser konnte es nämlich der Doktor aus der Berggasse 19 auch nicht machen.
Harald Justin

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