JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

„Ob-baba-daha“ – Tonakrobat Al Jarreau will doch nur singen!

Al Jarreau
3.7.2014 Wiener Staatsoper

Es gibt vieles, was man dem afroamerikanischen Vokalakrobaten Al Jarreau so nicht nachmachen kann. Sharon Jones und Charles Bradley etwa, die zwei AusnahmesängerInnen der Dap-Tone Super Soul Revue, die am Montag in der Wiener Oper dem Publikum Seelenkunde lehrten, waren etwa in ihren früheren Leben Gefängniswärterin und Koch. Und dann übernahm der Gesang die Kontrolle über ihr Leben. So ähnlich, aber doch ganz anders verlief die Karriere von Al Jarreau.

Der Gesang war ihm wahrscheinlich bereits bei der Geburt gegeben. Doch dann folgte ein abgeschlossenes Psychologie-Studium und die Arbeit als psychiatrischer Betreuer in einem Rehabilitierungszentrum für traumatisierte Soldaten. Eigentlich logisch, oder, dass daraus eine Vokalkunst entstand, die in ihren Anfangsjahren als sensationell galt und die er mit maßgeschneiderten Aussagen garnierte: „Ich bin ein Rhythm & Blues-Sänger, ein Pop-Sänger, ein Jazz-Sänger. Für mich vertragen sich diese Stilarten miteinander. Ich möchte das einfach alles machen. Vielleicht bedeutet das, dass ich ein bisschen schizophren bin.“

Fans haben ihm diese Portion Schizophrenie nicht nur verziehen, sondern lieben ihn genau deswegen. Das Publikum in der Wiener Oper jubelt bereits, als er die Bühne mit wankendem Schritt betritt und bühnenwirksam mit seinen vom Jackenärmel befreiten, wedelnden Armen und Hände die Töne zu modulieren scheint, die seiner Kehle entkommen. Huhs und Ahs sind im Publikumsbereich zu hören, zu hören, aber das kann der Meister natürlich viel besser, und ein Kenner auf dem Nachbarssitz erinnert sich an das 1965er Debutalbum Jarreaus und schwärmt von dessen besonderen Vokalkunst: Denn damals brillierte der psychiatrische Betreuer als Sänger, der die Vielfältigkeit eines Orchesters in seiner Kehle vereinbarte. Seine Baritonstimme wie eine Basstrommel tuckern zu lassen, mit der Zunge zu schnalzen wie eine Snare-Drum, eine aufheulende Wah-Wah-Gitarre mit den Stimmbändern zu imitieren, wie eine kreischende Trompete im Falsett zu klingen, die vokalen Möglichkeiten des 1940 in Wisconsin geborenen Ein-Mann-Orchesters schienen so unbegrenzt wie sensationell. Dabei stand er einerseits in der Tradition des Jazzgesangs und setzte fort, was Sänger wie Jon Hendricks vor ihm zur Perfektion getrieben hatten. Zudem verstärkte er, Bobby McFerrin nicht unähnlich, durch ungewohnte rhythmische Vokalismen den afrikanischen Anteil des Jazz.

Also lässt er es auch in Wien schnalzen und klicken, imitiert das eine oder andere Instrument und improvisiert sinnfrei mit Silben und Tönen. Wenn der nimmermüde Drummer der fünfköpfigen Begleitband pausiert, die beiden Keyboardspieler die Tasten ruhen lassen und Jarreau sich mit simpler Handperkussion, nur begleitet von seinem Gitarristen auf die Kehlenwunderkunst konzentriert und zum „Ob-bab-daha“ ansetzt, entstehen magische Momente. Wie aus dem Nichts entwickelt sich, WM-gerecht, ein Tribut an Sergio Mendes und Brasilien in Form eines sanften „Mas Que Nada“. Und Jarreaus Hände flattern und kneten die Luft, er ist nach Wien gekommen, um zu singen. Er will doch nur singen, nur singen! Bereits vor Ende des Konzertes ist das Publikum auf den Beinen, geklatscht wird bereits bei den ersten Tönen eines neuen Liedes. Fans halt, die sich bestens im Repertoire auskennen. Eine Frau sagt: „Ich liebe ihn seit ich achtzehn Jahre bin.“

Möglicherweise war die Dame ja dabei, als Jarreau nach Jahren des Misserfolgs in Amerika Anfang der siebziger Jahre nach Hamburg kam und dort in dem legendären Szenebeisl „Onkel Pö“ drei Tage und drei Nächte lang umjubelte Konzerte gab. Auch damals war er nach Hamburg gekommen, um zu singen, und der Andrang war so überraschend und gewaltig, dass Jarreau auf der Bühne blieb und nur das Publikum ausgetauscht wurde, während er einfach weitersang. Gut möglich, dass aus diesen Hamburger Erfolgsjahren des Sängers jemand den Weg wieder nach Wien gefunden hat. (Allein die liebestolle Dame scheidet aus, viel älter als neunzehn Jahre ist sie dann ja doch wohl nicht!)

Bei allem Erfolg in Europa, für das amerikanische Publikum blieb er lange Zeit ein Geheimtipp. Als er dann jedoch den Anteil der vokalen Kunststücke zugunsten eingängiger, gleichwohl hochwertiger Soul- und Popstandards verringerte, kam auch in Amerika der große Erfolg. 1986 sang er mit Stars wie Ray Charles, Michael Jackson und Bob Dylan den Titel „We Are The World“ für das Live-Aid-Spektakel ein, ein Album mit dem musikalischen Geistesbruder George Benson 2006 festigte seinen Ruf als Jazz-Entertainer erster Güte. Er ist bis heute einer der wenigen, wenn nicht der einzige Sänger, der einen Grammy in drei verschiedenen Kategorien, Jazz, Pop und R&B, gewann. Und selbstverständlich hat er nach Wien sein aktuelles Album My Old Friend (Universal) mitgebracht, auf dem er an seinen verstorbenen Freund George Duke erinnert. (Mit zur illustren Gästeliste zählt übrigens Dr. John, der am 8. Juli ebenfalls auf dem Jazz Fest Wien zu hören sein wird.)

Irgendwann, nachdem Jarreau viele Menschen mit seinem Gesang in der Wiener Oper glücklich gemacht hat, nach einer gelungenen „Take Five“-Improvisation und einer kurzen Abschieds-a-capella-Einlage von ihm und seiner Band, geht es ab in die Garderobe. Das weiße Jackett wird gegen ein schwarzes getauscht, und der Meister steht Rede und Antwort, lässt sich fotografieren, nimmt Dankesbezeugungen entgegen, witzelt und gibt Autogramme. Eine junge Frau hält ihm einen Stapel LPs entgegen. „Bitte signieren! Please write: ‚For Dietmar!” Al Jarreau ist freundlich, sieht den Stapel und fragt nur, mit einem erstaunten Blick auf die weibliche Schönheit: „So, your name is Dietmar?“ Großes Gelächter. Plötzlich wissen alle: der Al will nicht nur singen. Der will auch spielen! Und hat viel Humor. Da macht ihm so leicht niemand etwas vor.

Harald Justin

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