JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

Wumbawums – Jungbrunnenmusik aus der Steckdose

Pet Shop Boys
4.7.2014 Wiener Staatsoper

Dem biologischen Alter gemäß, könnten sich der britische Sänger Neil Tennant und sein für die Electronics zuständige Kollege Chris Lowe längst nicht mehr als Pet Shop Boys, sondern gar als Pet Shop Men bezeichnen. Allein, die beiden Mittfünfziger, die am gestrigen Abend die ausverkaufte Wiener Staatsoper beehrten, lassen derartige Anwandlungen ziemlich kalt. Sie bleiben einfach jung. Oder tun so. Denn wie sie zu sein hätten, wie sie sind und was sie nicht sein wollen und nicht sein sollen, derlei Anwürfe hört das Duo seit Mitte der achtziger Jahre.

Zeitweilig waren sie mit ihrem Verschnitt aus Kraftwerk-Elektronikeffekten und nonchalanten bis zynisch-ironischen Beobachtungen aus der Welt der homosexuellen Disco-Dramen und des alltäglichen Irrsinns im Thatcher-Britannien die kontrovers diskutierteste Pop-Gruppe des westlichen Universum. Der für Hypes zuständige britische New Musical Express kürte sie damals zur „wahrscheinlich besten Pop-Gruppe der Welt“, der amerikanische Rolling Stone urteilte etwas zurückhaltender: „Sie kommen einem vor wie Heulsusen, die ihr Taschengeld nicht rechtzeitig gekriegt haben.“ Außerdem: „Ihre Tanzrhythmen haben den ansprechenden Sound einer vielbenutzten Flughafen-Rollbahn.“

An den Pro- und Contra-Urteilen änderte sich im Laufe der Jahrzehnte wenig, und die beiden Musiker schienen alles tun zu wollen, um eins fürs andere Mal, Kritiker aus der Reserve zu locken, Erwartungen in die Irre zu führen und sich immer dann neu zu erfinden, wenn niemand, wirklich niemand mehr mit ihnen gerechnet hat. Ständige Verkleidungen mit Zwergenmützen, sonderbaren Perücken oder clownesken bis extravaganten Verkleidungen waren eine Sache, eine andere Sache waren, ausgehend von der Elektronica, Flirts mit realen Orchestrierungen oder ihr Spiel mit echten Gitarren. Irgendwie waren sie nie die, die man in ihnen sehen wollte, irgendwie schienen sie aber auch nie die zu sein, die sie zu sein vorgaben. Jede Verkleidung war immer auch ein Versteckspiel und mehr als nur ein modischer Gag. Und letztendlich hat sich doch eine gewisse Pet Shop Identity als Markenkern herausgebildet: es geht um ihre vollkommene Kontrolle über alles, über Interviews, Fotos und Videos und natürlich über die Musik, die maßgeschneidert und ohne Misstöne perfekt aus dem Computer zu kommen hat, so lange niemand den Stecker zieht. „Wir sind eben nicht Jimi Hendrix!“, verkündete Tennant einst und erklärte damit die Distanz zu allem und jedem, der ihrem Kunstkosmos nicht entsprach.

Sinnfällig dafür war an diesem Abend bereits der breite Graben, der die Musiker und ihre Tänzer vom Publikum trennte. Das waren nicht mehr die in der Gay-Community bejubelten Kitschdekorationen der ja auch in Wien beliebten Stararchitektin Zaha Hadid, sondern Bildwände mit Technik-Applikationen. Distanz, Distanz. Statt einem direkten Draht zum Publikum gab es ein dickes Kabel zur Steckdose, die die Musik mit Tönen und die Leinwände mit abstrakten Visuals versorgte. Die die Tiefe des Raumes auslotende Bühne war im Sog der Visuals irreal, aber die Musik war es nicht minder. Beides passte zusammen und ließ eben für Fehler und Zufälle keinen Platz. (Nur einmal, bei „It’s A Sin“ patzte die Elektronik, und dann war es still in der Wiener Oper.)

Natürlich kamen alle Hits, und sie kamen nicht so, wie man sie aus den Clubs und der Hitparade zu kennen meinte. Die Beats waren härter und elektronischer, der Bass wummerte so tiefgelegt, dass – wumba-wums – der Darm flatterte, und das Ganze erinnerte an die Glanzzeit der Electronica und des Synthesizer-Disco-Pop, die man eigentlich doch gerade aus dem kollektiven Musikgedächtnis verabschiedet hatte. Möglicherweise ist das ja die beste Finte der Pet Shop Boys seit langem: während andere Gruppen der achtziger Jahre sich in diversen Gefilden der Pop-Music neu zu erfinden versuchen, greifen sie erneut in die Trickkiste der Elektronik und redefinieren das Genre neu? Vielleicht kommen sie gerade zur rechten Zeit, um entgegen allen Trends sich als Meister ihres ureigensten Genres zu erweisen, gar einmal mehr einen alten Trend neu zu beleben?

Das Publikum reagierte auf ihre mit vermehrtem Electronic-Einsatz hochgepimpten Songs jedenfalls mit frenetischem Jubel. Vor den Gefahren der zuckenden und flackernden Lichteffekte wurde im Vorfeld gewarnt; sie könnten zu veränderten Bewusstseinszuständen führen. Stimmt wohl. Ein sehr junges Mädchen ruft bei „West End Girl“ (1986) aus: „Das ist das Lied meiner Jugend“, eine Frau sagt: „Ich fühle mich heute wieder als wäre ich gerade 14 Jahre alt. Das ist das noch einmal erleben durfte.“ Tatsächlich, auch ich bin froh, so etwas erlebt haben zu dürfen. Mehr von dieser Jungbrunnenmusik, und wer weiß, ob ein noch weiter veränderter Bewusstseinszustand aus mir nicht ein lallendes Kindergartenkind gemacht hätte?

Egal. Das also waren die Pet Shop Boys auf dem Jazz Fest Wien. Dass das Festival ein Herz für Diven hat, ist bekannt. Die eine oder andere Jazz-Diva war schon da, aber auch Diven aus jazzfernen Genres, die Gay-Ikone Liza Minnelli etwa, die sich 1989 von den Pets das Album Results maßschneidern ließ. Nun waren mit den Pet Shop Boys gleich zwei Diven auf einmal da, die durch zahlreiche Kostümwechsel zeigten, dass auch sie ihren Spaß an bunten Fummeln haben und mit ihrer Musik hedonistischen Frohsinn trotz oder gerade wegen stumpfer Elektro-Beats verbreiten können. Zum Abschied gab es noch einen Wumms aus der Flitterdose und ungezählte goldene Glücksschnipsel regneten auf das Publikum herunter. Schön.
Harald Justin

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