JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

Beautiful World, Beautiful People – Die Fernwärme macht’s!

Jimmy Cliff | Osibisa | Célia Mara
5.7.2014 Fernwärme Open Air

Keinen Cliffhanger, sondern wohlgeplante Übergänge zwischen afrikanischer, brasilianischer und karibischer Musik gab es bei Célia Mara, Osibisa und Jimmy Cliff auf dem Open-Air-Konzert der Fernwärme im Rahmen des Jazz Fest Wien zu hören.

Österreich mag die Heimat großer Töchter, Söhne, Transsexueller, kommender Dragqueens und alter Zöpfe sein. Ganz sicher aber ist Österreich nicht das Land der Dreadlocks, Rastafaris und Ghanjagenießer. Auch brasilianisches Temperament wohnt eher nicht zwischen Haxn und Veltliner. Und wo London sich dank der Vergangenheit als kolonialer Großmacht auch eine Stadt der Inder und Afrikaner ist, gibt es andererseits hierzulande noch immer ein Leiden an „Negerkonglomeraten“ und mit typischen Österreichern wie David Alaba.

Umso erstaunlicher, dass sich am Samstag, dem 5.07., trotz angesagtem regnerischen Wetters und trotz eines Fußballspiels in Brasilien, genug Menschen auf dem Gelände der Fernwärme Wien eingefunden hatten, um dort in drangvoller Enge das dreifache Open-Air-Konzert von der brasilianischen Wahlösterreicherin Célia Mara, den in London beheimateten, aus Afrika stammenden Musikern um Osibisa und des Reggae-Stars Jimmy Cliff mitzuerleben. Nicht, dass irgendwer an diesem Abend unbedingt diskutieren wollte, wie weit die afrikanisch-karibischen Wurzeln in den Jazz reichen. Stattdessen ging es um das Recht auf gute Laune. Der Rest kann später diskutiert werden.

Célia Mara, die Wahlwienerin aus Brasilien, machte den Anfang. Bereits der Soundcheck ließ erahnen, was das Temperamentbündel für das Publikum bereit hielt: die vielköpfige Band mit dem bulgarischen Ausnahmetrompeter Alexander Wladigeroff groovte sich schnell ein, bevor sie sich stimmgewaltig einschaltete. Dass sie beim Soundcheck santanaesk Gitarre spielte, dann aber beim Auftritt nur noch Rhythmusgitarre, brachte ihr nach ihrem umjubelten Auftritt die Bitte ein, demnächst doch mehr Sologitarre zu spielen. „Gut, dass du das sagst. Ich brauch immer so einen Anschub, sonst traue ich mich nicht.“ Also, demnächst…

Die kleine, ungemein agile Sängerin, die sich zu den „Idealen von Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit“ bekennt und die mit ihrem Album Bastardista sich das Lob der amerikanischen Weltmusikmagazins Global Rhythm einholte, „one of the best new Brazilian records to come around 2005“ eingespielt zu haben, singt seit ihrem Erfolgsalbum Santa Rebelda (2008) als Heilige aller Widerständigen und Furchtlosen. Dass sie dabei auf charismatische Weise ihr Publikum bezaubern kann, zeigte sie bei diesem Konzert bereits mit den ersten Tönen, dem ersten energischen Fußstampfen. Das Publikum liebte sie augenblicklich, und sie gab diese Energie mit einem Wirbelsturm brasilianisch eingefärbter Weltmusik zurück. Schon begannen sich die dunkeln Wolken zu verziehen.

Dass die kleine Powerfrau mit ihrer Band selbst Elefanten das Fliegen beibringen könnte, sei einfach einmal behauptet. Allein schon, um eine sanfte Überleitung zur nächsten Band des Abends zu finden: Osibisa! Denn fliegende Elefanten, von der Graphikerikone Roger Dean farbenprächtig auf die Cover der ersten LPs der Musikertruppe in den siebziger Jahren gesetzt, waren das Markenzeichen von Osibisa. Nicht niedlich, wie Disneys Dumbo, sondern majestätisch und sehr bunt schwebte Deans Elefant durch seltsam verwobene Landschaften, die manchmal an Traumlandschaften, dann wieder an Afrika erinnerten. Tatsächlich kamen die Mitglieder der Truppe um Teddy Osei aus Ghana, Antigua, Nigeria, Grenada und Trinidad.

Osei, der sich in seiner Heimat Ghana schon für Count Basie und Duke Ellington begeisterte und mit seiner Band ghanaische Musik mit Jazz fusionierte, kam in den sechziger Jahren nach London. Er studierte Musik und Schauspiel, gab die Schauspielkunst aber auf, als er erkannte, dass die Rollen für dunkelpigmentierte Schauspieler zu rar gesät waren, um so seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Als dann noch sein Stipendium wegen eines vom CIA unterstützten Putsches in seiner Heimat gestrichen wurde, blieb ihm nur die Musik übrig. Zusammen mit anderen Exilanten gründete er 1969 Osibisa – der Name spielt auf die Osibisaba-Rhythmen Südwestghanas an – ,und die Botschaft lautete „Wir möchten Frieden und Glückseligkeit verkünden.“

Das erste Album der Verkündigungsmusiker erschien 1971, machte die Truppe schlagartig bekannt und brachte sie ins Vorprogramm von Pink Floyd. „Das war lustig“, erzählte Osei lachend. „Sie brieten auf der Bühnen Spielgeleier und versuchten, den Klang des Eierbrutzelns in ihr Spiel zu integrieren.“ Gerechterweise muss gesagt werden, dass manches Spiegelei freundlicher empfangen wurde als Osibisas Musikmix aus afrikanischer Highlife-Musik mit westlichem Rock und Pop. Richtig, die Band hatte sofort Fans unter den tanzwütigen Jugendlichen, aber für einige Kritiker waren sie nur „Santana für Arme“. Für den Kritiker der Süddeutschen Zeitung waren sie damals gar eine „Mischung aus Kasperletheater und Karneval in Rio, aus pseudomagischen Voodoo-Gesang und Medizinmann-Hokuspokus.

Heutzutage dürfte dieser Kritiker verstummt sein, und andere preisen längst den leichtfüßigen Music-Mix als einen der ersten erfolgreichen Weltmusik-Versuche. Und nun stand die mittlerweile vierte oder gar fünfte Inkarnation dieser Truppe auf der Bühne. Die dunklen Wolken um den goldenen Zwiebelturm der Fernwärme wichen endgültig, und der freundliche Ansager erklärte, dass Gründungsvater Teddy Osei aus Altersgründen nicht mitgekommen sei. „Aber die Musiker seien sicher, ihn ersetzen zu können.“ Das muss man nicht unbedingt als Lob hören, aber es stimmte: die Band machte haargenau die Musik, die man von ihr erwartete: perkussionsdichten Afropop mit mitunter belanglosen Melodien, einigen Hits und viel Frieden- und Glücksappellen.

Und dann schien die Sonne. Oder, besser: sie ging am späten Abend auf, als Reggae-Altstar Jimmy Cliff die Bühne betrat. 1948 geboren, war er einer der ersten Reggae-Stars, der mit seiner Musik nach London ging, sie mit dem Produzenten Chris Blackwell generalüberholte und dem dunklen, sozialkritischen Rhythmusmix Jamaikas eine Musik für den weißen westlichen Markt machte.

Während andere ihm nachfolgende Jamaikaner dem ghanjaumnebelten Rastafari-Mythos huldigten, blieb Cliff allerdings bei seiner sozialkritischen Note. Die hatte er besonders in dem Film The Harder They Come (1971) angeschlagen, in dem er die Hauptrolle eines Kleinkriminellen spielte und dazu die Songs sang, die ihn schlagartig berühmt machten: „The Harder They Come“ und „You Can Get It If You Really Want“. Ein Hit wie „Beautiful World, Beautiful People“ (1969) ging dem voraus, aber andere, wie „Vietnam“ folgten. Seine Reggae war, bei aller Sozialkritik, nie dumpf und dublastig, eher sommerpflegeleicht, und tatsächlich ersang er sich mehrere Grammys und ist kein Oldie-Star, sondern bis heute ein relevanter Musiker geblieben.

So war es ganz natürlich, das ihm vom ersten Moment ab ebenfalls die Herzen alles Anwesenden zuflogen. Golden schimmerte sein Gewand im Licht der Sonne, und Cliff strahlte mit ihr um die Wette. Modisch war sein Goldlamé-Anzug jedenfalls die bessere Wahl gegenüber dem Dress, mit dem uns KonzertbesucherInnen am Freitag die Pet Shop Boys gegenübertraten. Während sie mit Zwergenmützen und einem Outlook irritierten, der aussah, als hätten sie einem Stachelschwein die Stacheln geklaut und sich selbst auf den Oberkörper getackert, fiel es leicht, den Reggae-Senior allein schon wegen seiner Kluft zu lieben. Denn die passte zu dem mit heller Freundlichkeit vorgetragenen Hits, zu denen der Anti-Kriegs-Klassiker „Vietnam“ ebenso gehörte wie „I Can See Clearly Now“.

Ja, jetzt, in der Dunkelheit der Nacht war wieder gut sehen, und während der alte, junggebliebene Reggae-Senior in der Garderobe und nach einem wundervollen zweistündigen Konzert noch freundlich und gut gelaunt Autogramme gab und mit Kindern posierte, fanden sich vor dem Festivalgelände Menschen zu kleinen Gruppen zusammen. „Too Many Rivers To Cross“ erklang a-capella, „Jimmy Cliff, goil, aber die Mara, auch leiwand!“, heißt es. Große Freude auf dem Nachhauseweg. Von der Spittelau zur Wiener Staatsoper sind es nur einige Kilometer. Wer gut zu Fuß ist, kann die gute Laune mitbringen in das morgige Sonntagskonzert von Cody Chestnutt und Al Di Meola und seiner Verbeugung vor den Beatles. „Ob-La-Di, Ob-LA-Da“ oder „Here Comes The Sun“, beides dürfte sich ausgehen.
Harald Justin

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