JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

Göttliche Geschwindigkeit – Triumphkonzert für Harri Stojka India Express

Natalie Cole
7.7.2014 Wiener Staatsoper
Harri Stojka „India Express“
7.7.2014 Rathaus/Arkadenhof

Natalie Cole mit jazziger Eleganz und Harri Stojkas India Express mit geschwinder Lebensfreude bereiten auf den Abschied vor.

Traurig, aber wahr: Kaum hat es angefangen, ist es auch fast schon wieder vorbei, das Jazz Fest Wien 2014. Zeit für ein kurzes Fazit und die Binsenwahrheit, dass ein Jazz-Festival nicht nur so gut ist, wie die verpflichteten Acts. Es zählt auch, wie viel Raum es zur Reflexion, zu Tanz und Assoziation, zum Genuss und zur Freude eröffnet.

Einen Abend vor Ende des Jahrgangs 2014 lässt sich feststellen, das da einiges geboten wurde. Es gab Abende, in den mit aller Stimmkraft schweißnass um Seelen gerungen wurde. Und es gab Abende, an denen man sich fragen konnte, ob elektronische Beats die musikalischen Fragen der Menschheit beantworten können oder vielmehr das Menschliche von der Musik der Maschinen in Frage gestellt wird. Es gab Diven und Gitarren und Abende , an denen alles möglich schien und Fragen beantwortet wurden, an die man einen Abend vorher noch nicht einmal gedacht hatte.

So kam am Montag, dem 7. Juli mit Natalie Cole eine Diva in die Wiener Staatsoper, die anders als die schweißtreibenden Soul-Sängerinnen wie Charles Bradley, Sharon Jones oder Cody Chesnutt ihre Botschaft mit unterkühlter Geste darbot. So geschah es gestern in der Wiener Staatsoper, als Natalie Cole in einem elegant engen, blauen Kleid die Bühne betrat. Zwar hatte sie „Fever“ (Songtitel) gleich mit dem ersten Song und fuhr daraufhin auf der von ihrem Vater bereits befahrenen „Route 66“ weiter.

„Unforgetable“, der Hit vom Dad war natürlich auch dabei, und die Tochter von Nat „King“ Cole demonstrierte mit sanfter Eleganz, dass von einem nahezu körperlosen Soul ein direkter Weg zum klassischem Jazz-Feeling führt. Das konnte man ahnen, sollte man aber gehört haben, um lässiges Fingerschnippen einzuüben und sanft-swingend im Sommerwind Cocktails zu schlürfen und die Satin-Bettwäsche heraus zu holen. Und wer sich je gefragt hat, wie wohl der swingende, leichtfüßige Charme eines Nat „King“ Cole heute ankommen würde, erhielt durch die begeisterten Reaktion des Publikums in der ausverkauften Wiener Staatsoper auf die Musik seiner Tochter zumindest den Schimmer einer Antwort.

Ebenfalls als Fortsetzung eines Diskurses über die Kunst des Gitarrespielens konnte das Konzert von Harri Stojka und dem India Express im Arkadenhof des rathauses verstanden werden. Andreas Varady, Al Di Meola und Albare waren ihm bereits vorausgegangen, aber Stojka ist natürlich eine Klasse für sich. Auch er ist ein wahnsinnig fingerflinker Gitarrist. Dabei muss Schnelligkeit am Griffbrett nicht unbedingt ein Trumpf an sich sein. Schon so mancher Gitarrist ist als Schnelligkeitsweltmeister in Sinnfreiheit gescheitert.

Ein Glücksfall für Stojka war es, dass er Rock und Jazzrock irgendwann ad acta legte und seine Wurzeln als Roma entdeckte. Logisch, dass er eines Tages begann, den Wanderwegen der Roma zurück in ihre Heimat nach Radjastan in Indien zu folgen. Es entstand u.a. der mit Preisen prämierte Film Gypsy Spirit: Harri Stojka – Eine Reise und die wundervolle CD India Express, die er mit den auf dieser Reise gefundenen Musikern eingespielt hat. (Wobei natürlich indische Musik spätestens seit Coltranes Zeiten ein Magnet für Jazz-Musiker war. Und es mehr Verbindungen zwischen Jazz und indischer Musik bestehen, als sie in diese Meldung passen!)

Mit der auf dieser Reise gefundenen Formation trat er also, inmitten von einem Tabla-Spieler, einem Drummer und einem Bassisten, einem Sitar-Zupfer, zwei Handperkussionisten und drei österreichischen Musikern (u.a. dem fabelhaften Mosa Sisic) beim Jazz Fest Wien an.

Welch ein Triumph! Stojkas Lebenslust und die Spielfreude des Ensembles sprangen vom ersten Moment auf das begeisterte Publikum über. Auch wenn einige Titel gemäßigte Tempi haben, so war es doch die mitreißende Schnelligkeit im kleinsten Detail, die das gemeinsame Spiel vorantrieb. Im Gespräch nennt Stojka natürlich McLaughlins Shakti und das Mahavishnu Orchestra als Vorbild, aber der Verweis führt nur dann wirklich weiter, wenn man McLaughlins ebenfalls rasant schnelles Gitarrenspiel nicht von der spirituellen Fundierung löst. Denn die stupende Geschwindigkeit, mit der sich indische Musiker Tablagetrommel, Sitarläufe oder Maultrommelzupfer zuwerfen, macht durchaus einen spirituellen Sinn: In der Überwindung der Zeit gilt es in einen Zustand der Ich-Losigkeit und Transzendenz zu geraten, um so im nahezu instinktiven Agieren in göttliche Sphären jenseits des Menschenmöglichen vorzudringen.

Immerhin, das Menschen nicht immer mögliche, eben göttliche Prinzip der Freude erreichen Stojka und seine indischen Gäste an diesem Abend gleich mehrfach. Geschwindigkeit ist an diesem Abend nicht einsamer Selbstzweck und keine Hexerei, sondern gemeinsamer Dienst am Gott der Freude und Lebenslust. Und wenn selbst die Kellner und Ordnungskräfte offenen Mundes staunen und sich freuen, kann das so falsch nicht sein.

Dass an diesem Abend um 23:50 im ORF noch der Film über Stojkas Reise nach Radjastan gezeigt wurde, ließ sich nur als glückliches Omen vermerken. Und dass am Dienstag mit einem New Orleans-Abendkonzert von Dr. John und der Preservation Hall Jazz Band zum Abschied vom diesjährigen Jazz Fest geblasen wird, lässt sich vielleicht nur im Wissen verschmerzen, dass zumindest in New Orleans Jazz noch als „healing force of the universe“ verstanden wird. Davon kann man ja in Zeiten der Traurigkeit nicht genug haben.
Harald Justin

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