JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2015

Fernwärme Open Air

Raphael Wressnig
David Sanborn
Ed Motta

4.7.2015 Fernwärme Open Air

Das gehört zusammen: das Fernwärme Open Air-Konzert, drei Bands, ein sensationeller Gute-Laune-Preis und natürlich Sommerhitze satt!

So sicher wie der Sommer kommt, so sicher kommt im Rahmen des Jazz Fest Wien das Open Air Spektakel auf dem Fernwärme Gelände an der Spittelau. Hundertwassers Zwiebeltürme, die über dem Festivalgelände frohgemut leuchten, können da schon leicht programmatisch wirken, verweisen sie doch auf das Phantasiereich des Möglichen inmitten von trostlosen Sachzwängen. Soll heißen: manchmal muss man sich die Welt anders träumen als sie ist. Schöner, bunter, vor Freude trunkener. Manchmal muss man die Chronologie der Ereignisse umdrehen, um seinen Spaß zu haben, manchmal muss man einfach mal lässig und locker die Weltgeschichte umschreiben, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Fangen wir also in diesem Sinn mit dem letzten Act des Abends an, mit dem Brasilianer Ed Motta und seiner Band. Dass der Pianist und Sänger, der sich beim Spiel mit Bo Diddley, Roy Ayers und Seu Jorge seine Meriten zwischen R&B, Jazz, Rock und Brazil erworben hat, die Doobie Brothers und Led Zeppelin liebt, muss, so hieß es, ja kein Nachteil sein. Und dann noch dieses brasilianische Flair, das ihn in seinem Heimatland zu einem Star gemacht hat.

Fernwärme Open Air 4.7.2015: Ed Motta

Tatsächlich aber galt an diesem Samstagabend: gewogen und zu leicht empfunden. Die Musik des brasilianischen Schwergewichts war eine leicht verdauliche Pop-Packung amerikanischer Machart, die zu leichten Höflichkeitsapplaus bewegte und das Publikum nach Hause schickte. Mit etwas Phantasie mag man sich vorstellen, wie gut diese einlullende Brazil-Brause ohne Eigengeschmack dazu geeignet gewesen wäre, langsam eintrudelnde Besucher des Festivals seicht einzustimmen anstatt sie zu vertreiben.

Diese eigentlich undankbare Aufgabe übernahm der erste Act des Nachmittags, über den hier an zweiter Stelle berichtet werden muss: Raphael Wressnig. Wer den österreichischen Hammond-Organisten von seinen CDs kennt, weiß: Wressnig ist ein Weltklasse-Organist. Es dürfte zur Zeit niemanden geben, der die alte Hammond besser fauchen und schmauchen lassen kann.

Fernwärme Open Air 4.7.2015: Raphael Wressnig

Er bringt nicht nur sie zum Swingen und Grooven, sondern, das zeigte das Konzert bereits nach wenigen Minuten, auch das leider noch spärliche Publikum, das sich aber schnell vergrößerte. Mit Unterstützung von zwei Bläsern, einem Drummer, einem Gitarristen und einer Gastsängerin holte Wressnig das Beste aus der von ihm als „alte Dame“ tituliertem Tasteninstrument hervor.

Großartig – und selbst als er auf ihr stand und sie gar mit den Füßen traktierte, der alte Tastentiger Hammond zeigte gute Laune zum guten Spiel. Dass sein aktuelles Album „Soul Gumbo“, mit Gästen in New Orleans aufgenommen, mehr von diesem heißen Stoff enthält, versteht sich.

Hinter der Bühne erzählt er, wie wichtig ihm im Jazz die Verweise auf die Jazzgeschichte sind, wie wichtig ihm bei den Aufnahmen zu seinem Album die Zusammenarbeit mit Legenden der New Orleans-Szene wie Walter „Wolfman“ Washington, Jon Cleary oder Craig Handy war.

Doch so zufrieden er mit seinem Auftritt war, so begeistert ihn das Publikum bejubelte, so war er doch einer der ersten, der zu dem nach ihm auftretenden David Sanborn trat und ihm neidlos gratulierte. Denn der siebzigjährige amerikanische Saxofonist und seine Band strafte alle Lügen, die dachten, er sei nur ein harmloser Trötenblaser des zahnlosen Smooth- oder altersmüden Fusion-Jazz.

Fernwärme Open Air 4.7.2015: David Sanborn

Zugegeben, die jeweils ersten Keyboardakkorde von Ricky Peterson, die Anfangsthemen waren der Fusion-Melodik verhaftet, dann aber blies Sanborn mit bekannter Schärfe sein Saxofon, und er hat halt diesen „plaintive cry“, diesen unverwechselbaren Ton. Der wurde durch eine Band geerdet, deren Mitgliedern der Chef das Recht auf Selbstdarstellung gewährte.

Der Schlagzeuger und der Perkussionist bekamen ihr Solo, der Bassist ebenfalls, und ihnen gelang, was sonst nur selten gelingt: ohne dass irgendein Musikkasper zum Mitklatschen drängte, reagierte das Publikum fachmännisch und klatschte zum Groove!

Genau so muss es sein, und damit erwiesen sich die Besucher des Festivals einmal mehr fachkundig. Denn nicht ganz zu Unrecht gilt das Open-Air-Spektakel im Zeichen der Fernwärme als eine nicht ganz leicht abzulegende Prüfung für Musiker: Wer hier bestehen will, muss mit einem Publikum rechnen, das wegen der Musik kommt. Hier hat sich niemand eine teure Karte gekauft, um sich Sozialprestige abzuholen oder Expertentum zu demonstrieren. Hier muss der Musiker alles geben, um überzeugen zu können; hier überzeugt das Endergebnis: jubelnde Menschen und gute Laune.

In einer mit Phantasie neu geordneten Chronologie dieses Samstags hätte David Sanborn die Bühne nicht bereits am Nachmittag verlassen, sondern als Hauptact am Abend, beklatscht und bejubelt, im Licht bunter, rotierender Scheinwerfer, uns allen eine „Gute Nacht“ wünschend. Dass es ein bisschen kam, wetten, dass sich in späteren Erzählungen niemand mehr daran erinnert?
(Harald Justin)

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