JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

Mitklatschen oder Staunen – Wege zum Musikverständnis

Al Di Meola | Cody Chesnutt
6.7.2014 Wiener Staatsoper

Mit Cody Chesnutt und Al Di Meola traten zwei amerikanische Vertreter in der Wiener Staatsoper auf, die beide eine recht unterschiedliche Auffassung von kunstvoller Musik haben.

Manchmal braucht es Mut zum Wagnis, um Musik besser zu verstehen. Was also kann es Besseres geben, als einen Abend beim Jazz Fest Wien in der Staatsoper zu erleben, an dem zwei gänzlich unterschiedliche Auffassungen von Musik zelebriert werden?

Einem Publikum, das sich darauf einlässt, an einem Abend ein Doppelkonzert zu erleben, in dem zuerst Cody Chesnutt und danach Al Di Meola auf die Bühne treten, ist im Vorfeld bereits zu seinem Mut zur Auseinandersetzung zu begrüßen. Denn beide Musiker vertreten diametral entgegengesetzte Positionen innerhalb des großen Spektrums amerikanischer, im weitesten Sinne Jazz genannter Musik.

Den Anfang machte am Sonntagabend Cody Chesnutt. Wer am Samstag auf dem Gelände der Fernwärme den Bandleader von Osibisa sagen hörte, dass afrikanische Musiker die Trennung von Publikum und Musiker nicht kennen, dass es in ihrer Musik darum gehe, eben diese Trennung immer wieder aufzuheben und im Konzert etwas gemeinsames Neues zwischen Musikern und Publikum zu erschaffen, verstand sowohl die Daptone Super Soul Revue am Eröffnungskonzert des Jazz Fest Wien besser als auch den Auftritt von Cody Chesnutt.

Der 1968 in Atlanta geborene afroamerikanische Sänger und Gitarrist, der durch die Version seines Songs „The Seed (2.0)“ von der amerikanischen HipHop-Truppe The Roots bekannt wurde, baut auf dieses Diktum des afoamerikanischen Musikverständnisses. Das Kunstwerk, dass Cody und andere Vertreter des BluesSoulJazzFunk an einem Abend im Konzert gestalten, ist nicht die Version eines Songs allein, sondern der gemeinsame Energieaustausch im Miteinander von Musiker und Publikum.

Da macht es wenig aus, dass die wenigstens Songs Chesnutts erinnerungswürdige Hooklines oder Melodien haben. Nein, zu Soulklassikern wie „Sittin’ On The Dock Of The Day“ oder „Everybody Needs Somebody To Love” taugen die Songs des Energie geladenen Sängers und seiner Band nicht. Auch ein falscher Start oder ein nicht funktionierender Verstärker waren nicht weiter schlimm. Im Gegenteil. Chesnutt nutzte technische Ausfallerscheinungen, um mit dem Publikum zu kommunizieren. Kommunikation hieß eh das Zauberwort an diesem Abend.

Auf einen Fehlstart folgte ein Witz, aus nicht sonderlich melodiösen Liedern wurden Call-And-Response-Gesänge mit dem begeistert mitsingenden Frauen und Männern in der Oper. Mitklatschen und „O-ho-ho-ho“-Singen, das war die Kunst des Abends, die froh machte. Gitarrist Joel Johnson, der gegen Ende des Konzert ein rasantes Solo spielte, erklärte später in der Garderobe: „Das sind die Tricks unserer Südstaatenkultur. Wir sind stolz, diese Kunst weiterzureichen!“ Glückwunsch.

Für einen gänzlich anderen Ansatz stand Gitarrist Al Di Meola ein. Der 1954 geborene Gitarrist wurde als 19jähriger in der Band der Jazz-Pianisten-Größe Chick Corea Mitte der siebziger Jahre bekannt. “Fusion Jazz“ hieß damals das Modewort in der Musik, und Di Meola fusionierte mit stupender Fingerfertigkeit in dieser einst ungemein populären Spielart des zeitgenössischen Jazz.

Bahnbrechend erfolgreich geriet das 1980 gemeinsam mit dem spanischen Gitaristen Paco De Lucia und dem britischen Gitarristen John McLaughlin aufgenommene Album Friday Night In San Francisco. Doch während bei De Lucia die Herkunft aus dem Flamenco ihm den Weg über das Gitarrengriffbrett wies und McLaughlins Spiel spirituell beflügelt wurde, gab es bei Di Meola vor alles eines zu bewundern: die Geschwindigkeit, mit der er die Noten zupfte.

Bald waren zumindest drei Meinungen über sein Spiel im Umlauf: die einen hielten ihn für einen fingerflinken Virtuosen, andere kritisierten sein Spiel als seelenlose Höchstgeschwindigkeitsübung ohne Sinn und Verstand und die letzte Fraktion der Kritiker konstatierte alle Jahre wieder, dass Di Meola sich mit dem jeweils neuesten Werke gebessert habe und gehaltvoller, langsamer, ja, eben seelenvoller spiele. Die Hörprobe ergab dann aber meistens, dass Di Meola kritikresistent war und einfach weiterhin auf Hochgeschwindigkeitsrekorde setzte. Mit anderen Worten: der Künstler weiß, was er will, und alles, was er macht, geschieht im vollen Besitz seiner künstlerische Kräfte.

So geschah es an diesem Abend, dass er sich einmal mehr als Hochgeschwindigkeitszupfer präsentierte. Fern von aller Kommunikation mit dem Publikum zeigte er sich als Virtuose, dem es keiner nachmachen kann. Im Trio mit einem Pianisten und einem Drummer waren die einzelnen Stücke präzise und nach identischen, vorhersehbaren Mustern aufgebaut: ein Pattern wurde mit der akustischen Gitarre vorgestellt, dann verzerrte ein Effektgerät den Klang der akustischen Gitarre hin zu einer mit brutalem E-Gitarren-Sound, dann ging es per Fußdruck zurück zur akustischen Gitarre.

Die Möglichkeit, einmal direkt mit einer Figur auf der E-Gitarre zu beginnen und mittendrin vielleicht einmal eine Solopassage auf der akustischen zu zupfen, zog Di Meola anscheinend nicht in Erwägung. Und da Al Di Meola natürlich ein großartiger Künstler ist, muss man annehmen, dass seine im Aufbau banalen Stücke genau so gewollt waren, wie er sie spielte. Aussage der vielen schnellen Töne sind – die vielen schnellen Töne. Nicht mehr, nicht weniger.

Vollste Absicht muss man auch hinter seinem neuen Programmschwerpunkt mit Beatles-Songs erwarten. Ganze drei waren im Konzert zu hören, doch während die Beatles etwa in „Strawberryfields Forever“ mit einigen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Streicherfiguren aufwarteten, ließ Di Meola seine Streicher in Richtung kitschigen Wohlgefallens à la André Rieu aufgeigen. Auch das muss, stellen wir es Di Meola wohlwollend positiv in Rechnung, volle künstlerische Absicht sein.

Dieses künstlerische Wollen zu akzeptieren, heißt verstehen lernen, dass Al Die Meola zu jenem Künstlertum zu zählen ist, deren oberstes Ziel die eigene Selbstverwirklichung ist. Koste es, was sie wolle. Dieses im Kern doch sehr europäische Verständnis von Kunst und Künstlertum entlud sich an diesem Abend in eben jenen Klängen, die seine Fans an ihm wertschätzen, die aber von einem Kunstverständnis, wie es ein Cody Chesnutt pflegt, nun doch wohl einige Meter Abgrund entfernt ist. Ihn an einem Abend zu überspringen – fast eine Unmöglichkeit. Aber eben doch gewagt. Und schließlich geht das Jazz Fest Wien ja noch einige Abende weiter…
Harald Justin

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