JazzFest.Wien Festival History

JazzFest.Wien 2014

„When The Saints Go Marching Home“ – Das Abschiedskonzert

Nikki Yanofsky
8.7.2014 Rathausplatz
Dr. John | Preservation Hall Jazz Band
8.7.2014 Rathaus/Arkadenhof

Schluchz – und Juchz: der letzte Abend des Jazz Fest Wien 2014 sollte nur mit der Vorfreude auf den Jahrgang 2015 enden, oder? Woher die Freude kommt? Aus dem Wissen und der Erfahrung, dass der Jazz überhaupt nicht tot ist und Talente nachwachsen. Bestes Beispiel: Nikki Yanofsky. Die zwanzigjährige Kanadierin sang zum zweitenmal auf der Bühne vor dem Rathaus – und das war gut so!

Denn diese Bühne ist eine harte Schule, und bislang war es nur wenigen Musikern gegönnt, diese Bühne mit mehr als einem bloßen Achselzucken zu verlassen. Soulsänger Charles Bradley schaffte es und nahm ein Bad in der begeisterten Menge. Imelda May holte sich ebenfalls das Publikum bis an den Bühnenrand und feierte mit ihnen ab. Als Nikki Yanosfky erstmals beim Jazz Fest auf dieser so wichtigen Bühne, die rein vom Publikumszuspruch lebt, auftrat, erntete sie höflichen Applaus. Nett. Aber mehr auch nicht.

Heuer aber war es anders. Sie hat an ihrer Performance gearbeitet, hat sich die Tricks des „How do you feel“ und „It’s great to be in Vienna“ angeeignet und singt nach den Songs aus dem Great American Songbook, die Ella immer noch besser singt, auch Songs mit aktuellem Spaßfaktor. Und siehe da, am Ende ihres Auftritts tanzte das Publikum direkt vor ihr unter der Bühne. Von ihr ist noch etwas zu erwarten – und es ist gut, dass das Jazz Fest Wien die Möglichkeit bietet, solche Musikerinnen auf ihrem Weg zu begleiten.

Und dann ging es am letzten Abend noch einmal wirklich einen Schritt zurück und zwei voran durch die Jazz-Geschichte mit zwei Konzerten im Rathausinnenhof. Den Anfang machte die Preservation Hall Jazz Band. Die 1961 gegründete Band ist ein Durchlauferhitzer für musikalische Talente in New Orleans. Wer beim Stichwort „New Orleans“ an zickigen Dixieland-Jazz denkt, liegt falsch; wer jedoch daran denkt, dass New Orleans eine Geburtsstätte des Jazz ist, der liegt richtig. Und was macht den Jazz und seine Interpreten aus? Wynton Marsalis, Trompeterstar aus einer der wichtigsten New Orleans-Familienclans, sagt: „Technik ist eine Sache. Aber es bedarf mehr: Präsenz!“

Genau diese Präsenz brachten im Laufe dieses Festivals mehrere Musiker auf die Bühne, von Sharon Jones über Antibalas hin zu Cody Chesnutt, Célia Mara, Jimmy Cliff und Harri Stojka. Und nun die Preservation Hall Jazz Band. „Von Start an gut“, ruft begeistert der Fazioli-Mann, dessen Klavier für den guten Klang bei einigen Konzerten sorgt. Und es stimmt: Angetrieben vom Sousaphon-Bläser Ben Jaffe bläst sich die Band in einen wahren Spielrausch, der vom Publikum begeistert aufgenommen wird. Von null auf hundert, ein Blasinferno, das selbst die schweren gußeisernen Lampen im Rathausinnnenhof in Schwingungen versetzte. Die Posaunen von Jericho klangen nicht besser!

Kollektivimprovisationen mit Wille und Wucht, mit Präsenz eben, entlang an Klassikern der Jazz- und Bluesgeschichte, von „St. James Infirmary“ über „Basin Street Blues“ hin zu „When The Saints Go Marching In“. Grandios – und damit ist diese Truppe eigentlich der nächste Kandidat für ein Rückspiel in der Wiener Staatsoper 2015. Der Pianist meinte jedenfalls: „Wir kommen gerne! Great place, great audience! Ich bin zum zweiten Mal in Wien, liebe diese Stadt und komme gern wieder!“ Bitteschön!

Ebenfalls ein Wiederholungstäter in Wien ist Dr. John. Bei seinem letzten Auftritt in Wien war er gesundheitlich leicht angeschlagen; umso richtiger, ihn noch einmal einzuladen. Wahrscheinlich will niemand wissen, wie es war, damals, als er seine Großmutter dabei beobachtete, wie sie Tische in der Luft schweben ließ. Auch die Geschichte, wie ich mit Dr. John in Hamburg durch die Rotlichtmeile von St. Pauli stromerte, ist mindestens ebenso so uninteressant wie die Meldung von einst, der zufolge Dr. John seine Existenz als Studiogitarrist verlor, weil ihm ein böser Mensch einen Finger wegschoss. Denn dieser Finger wuchs ihm im Voodoo geschwängerten New Orleans natürlich wundersamerweise nach, wie der gute Doc bewies, als er zu „Let The Good Times Roll“ zur Gitarre griff und einige fabulöse Licks hervor zauberte.

Auch der Rest war natürlich magisch. Wirkte er bei seinem letzen Wien-Besuch eher unnahbar, so schaute er diesmal nicht nur in sich hinein, sondern war auch erfreulich gesprächsbereit. „Ja, es stimmt, das ist der Gehstock, den mir Charles Neville (von den Neville Brothers) gemacht hat!“, sagte er, schüttelte seinen Zopf und stakste in seinen Krokodillederschuhen zur Bühne, wo ihn der besagte Fazioli-Flügel erwartete. (Und nein, der auf dem Flügel drapierte Totenschädel war nicht der des 14jährigen Mac Rebenack, wie ein Hörer listreich meinte!)

„Walked On Gilded Splinters“ sang er, „Iko Iko“, die heimliche New Orleans-Hymne, natürlich auch. Und ja, verdammt, es war gut, ihm zum zweiten Mal in Wien an diesem Ort zu hören und zu sehen, wie das Publikum auf ihn und seinen von vertrackten Secondline-Synkopen lebenden BluesFunk reagierte. Der Doc jedenfalls war spielfreudiger je später der Abend wurde – und das Publikum, zahlreicher erschienen als beim vorigen Auftritt, reagierte, als hätte es nichts anderes gemacht, als sich ein Jahr lang in sämtliche Alben des Docs zu vertiefen und mit größtem Verständnis für diese New Orleans-Legende seine Musik aufzusaugen.

Diesmal leerten sich Reihen unter dem Vorzelt nicht vorzeitig, die Feierlaune blieb, und als der Organist einmal mehr an diesem Abend „When The Saint Go Marching In“ anstimmte, dann wissen alle Jazz-Fans, dass es eine gute Idee war, den Schlussabend des Jazz Fest Wien mit einem New Orleans-Abend zu feiern: in New Orleans stand die Geburtswiege des Jazz, und nirgendwo in der Welt werden die Totgeglaubten besser auf eine Wiedergeburt vorbereitet als in New Orleans.

Und damit kann das Jazz Fest Wien 2015 kommen, mit Dank an alle MusikerInnen des Jahrgangs 2014, mit Dank an ein fabelhaft verständiges Publikum und an ein Team, das – wenn schon, denn schon – im Jahr der Weltmeisterschaft weltmeisterschaftlich agierte.
Harald Justin

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